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Bericht von der Infoveranstaltung zum NVP

Der NVP 21 verschlechtert den Busverkehr in der March. ZRF: “Mit mehr Geld wären mehr Leistungen finanzierbar.”

Die Festhalle Hugstetten ist fast voll besetzt, bestuhlt im Abstand von 2-3 Metern. In Zeiten der Coronapandemie ist es eine höchst ungewohnte Ansammlung von Menschen. Doch der Anlass ist wichtig: es geht um den Nahverkehrsplan 2021 (NVP 21), der für den Marcher Busverkehr eine deutliche Verschlechterung vorsieht.

Auf dem Podium: Bürgermeister Helmut Mursa und Thomas Wisser, Geschäftsführer der ZRF und Finanzdezernent des Landkreises.

Was sieht der NVP 21 für die March vor?

Der NVP, nach jetzigem Stand, bedeutet für die March:

  • Wegfall des “Marcher Y”, also der innerörtlichen Verbindungen
  • Wegfall von Verbindungen nach FR-Stadt
  • Ausdünnung der Taktfrequenz auf Stundentakt
  • Wegfall von Haltestellen (ein Drittel)
  • Konzentration auf unzuverlässige Breisgau-S-Bahn

Die Materie ist kompliziert

Die Veranstaltung erweist sich als anstrengend. Da wird mit Begriffen und Behördensprache um sich geschmissen, dass es eine Wonne ist: Europäisches Vergaberecht, Finanzierungsreform I und II, Solidaritätsprinzip oder Subsidiaritätsprinzip, Eigenwirtschaftlichkeit und Gemeinwirtschaftlichkeit. Bürgermeister Mursa spricht von “schwerer Kost”.

Die Zusammenhänge, die die Veranstaltung offenlegt, sind aber hoch spannend, und in der Gesamtschau erklärt sich, warum der NVP für die March so schlecht ausfällt. Viele Infos sind für die Bürger sehr wertvoll.

Warum wird es für die March schlechter?

Durch landesweite neue Regelungen wird die Finanzierung des ÖPNV neu geregelt (Stichwort “Finanzierungsreform I und II”). Der Südwesten des Landkreises war bisher deutlich besser angebunden, als der Nordosten. Der neue NVP gleicht dies an – gleiches Basis- und Vernetzungsangebot für alle Gemeinden. Das Budget wird neu verteilt. Manche Gemeinden erhalten mehr als bisher, andere, wie die March, weniger.

Außerdem, so Wisser, muss der NVP die Finanzierbarkeit bis 2030 sicherstellen. Deutlichen Kostensteigerungen steht aber nur eine moderate Erhöhung des ZRF-Budgets gegenüber. Überhaupt macht Wisser klar: das Geld reicht nicht, um mehr zu realisieren, als der NVP derzeit vorsieht. Weiter unten dazu nochmal mehr.

Der Zeitplan – was lange währt, wird … ?

Thomas Wisser betont während der Veranstaltung mehrfach, dass man den NVP in seiner jetzigen Version als Entwurf betrachten solle, an dem noch nachjustiert wird.

Im Dezember 2021 soll der NVP verabschiedet werden. Der ZRF möchte dann aber die Umsetzung nicht für den gesamten Landkreis gleichzeitig durchführen, sondern Schritt für Schritt, d.h. Linienbündel für Linienbündel.

Wann das Marcher Linienbündel genau dran kommt, kann Herr Wisser noch nicht sagen, aber “vermutlich nicht vor 2023”, sondern “vielleicht 2024, 2025 oder 2026”.

Richtig gehört: was per NVP21 beschlossen wird, wird vielleicht erst in etwa 5 Jahren für die March umgesetzt!

Da könnte man sich nun zurücklehnen, entspannen und sagen “hat ja noch Zeit”. Aber der Schein trügt. Tatsächlich birgt der langwierige Zeitplan mindestens zwei Risiken bzw. Probleme:

  1. Den Prozess von Bürger- und Gemeindeseite weiter zu verfolgen, benötigt enorm viel Ausdauer. Bleibt man nicht am Ball, kommt’s am Ende vielleicht noch dicker.
  2. Im Jahr 2025 ist schon ein Drittel der Zeit bis 2035 vergangen. 2035 aber müssten wir den Verkehr bereits drastisch verändert haben, um auf 1,5°C-Kurs zu bleiben. Ganz sicher werden also unsere Bedürfnisse und Ansprüche an einen guten Busverkehr 2025 bereits ganz anders aussehen, als heute. Wird der NVP im jetzigen Stand den Ansprüchen in 2025 gerecht? Wisser sagt: ja, weil er hochskaliert werden könne. Ich sage: wenn wir jetzt noch Jahre um den NVP21 von heute kämpfen, verschleppen wir die eigentlich dringende Frage nach einer ordentlichen Aufstockung der finanziellen Mittel, und einen frühen Ausbau des ÖPNV-Angebots, der Autoverzicht attraktiv macht!

Das Geld fehlt

Wer neidisch auf das Freiburger Mobilitätsangebot mit 7-Minutentakt schaut, der sollte sich klar machen, dass die VAG jährlich Millionendefizite einfährt, und die Stadt Freiburg geschätzte 600 EUR pro Kopf und Jahr für den Nahverkehr ausgibt. Der NVP hingegen muss, mit einem Gesamtbudget aus Kreisumlagen, Zuschüssen usw. von 10 Mio EUR ein Konzept für den Busverkehr erarbeiten, dass alle Kommunen des ganzen Landkreises beim Basisangebot gleichstellt.

Die gegebenen Mittel reichen aber, so Wisser, unter Berücksichtigung von Kostensteigerungen eben nur für Basis- und Vernetzungsangebot in der jetzt vorgeschlagenen Form. Würde man Vernetzungs- und Erschließungsangebot fahren wollen wie das Basisangebot, um auch Ortsteile wie Holzhausen und Neuershausen 19x Tag zu bedienen, entstünden 7 Mio zusätzliche Kosten pro Jahr. Von einer Ausweitung des Angebot auf die Zeiten vor 6 Uhr und und nach 24 Uhr ganz zu schweigen.

Kreistag und/oder Kommunen könnten freiwillig das Busangebot des NVP jederzeit aufstocken, sagt Wisser. Bürgerbusse und Anrufsammeltaxis seien deutlich günstiger zu realisieren, als Linienbusse.

Die Kommunen und der Kreis schieben sich aber den schwarzen Peter gerne gegenseitig zu – keiner will oder kann die Kosten übernehmen, erst recht nicht vor dem Hintergrund der Coronapandemie.

Ob direkt über den Gemeindehaushalt, oder indirekt über die Kreisumlage – so oder so liegen die Kosten allerdings bei den Kommunen. Mursa und Wisser nennen das “die linke oder die rechte Tasche”. In der March sind beide Taschen leer.

Benötigt werden also zusätzliche Mittel des Landes. Das Land aber hält sich bisher bedeckt, und macht bisher keine Zusagen für weitere Mittel. Manche Landtagsabgeordnete wimmeln das Anliegen der March scheinbar schlichtweg ab.

Klimaschutz kann so nicht funktionieren

Thomas Wisser sitzt in zwei Funktionen auf dem Podium: als Geschäftsführer der ZRF, und als Finanzdezernent des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald.

Mehrfach betont Wisser, dass er als Finanzdezernent dafür Sorge tragen müsse, dass der NVP bis 2030 finanzierbar ist. Das führe zum jetzigen NVP, der nach geltendem Europarecht ein für alle Gemeinden gleich gutes (oder eben schlechtes) Angebot bietet.

Als Geschäftsführer des ZRF jedoch sehe er klar, sagt Wisser, dass man sich unter Mobilitäts- und Klimaschutzgesichtspunkten und auch wegen des demographischen Wandels ein viel besseres ÖPNV-Angebot wünscht, und dass er das auch sehr gerne umsetzen würde. Vorarlberg habe das vor einigen Jahren vorgemacht: Nach dem Prinzip “keine Angst vor leeren Bussen” habe man etwas aufgebaut, was heute eine traumhafte Qualität und Quantität in das Busangebot bringe. Dafür aber, so Wisser, müssten eben die nötigen öffentlichen Gelder (das heißt unsere Steuergelder) locker gemacht werden. Und genau da hakt’s.

Wir, also die Gesellschaft und letztendlich jede(r) einzelne steuerzahlende Bürger*in, möchten zu wenig für den ÖPNV ausgeben – zumindest bisher. Und zwar sowohl auf kommunaler Ebene bzw. Kreisebene, wie auch auf Landesebene:

  • Würde man Vernetzungs- und Erschließungsangebot fahren wie das Basisangebot, d.h. auch Ortsteile wie Holzhausen und Neuershausen 19x Tag bedienen, dann entstünden dafür 7 Mio EUR zusätzliche Kosten pro Jahr, die von Kommunen, Kreis und Land zusammen finanziert werden müssten.
  • Das Land solle, wenn es sich das Ziel setze, bis 2030 den ÖPNV zu verdoppeln, auch die Finanzierung dafür verdoppeln, d.h. von 200 Mio auf 400 Mio, statt nur auf 250 Mio wie derzeit geplant, so Wisser.

Bürgerfragen bleiben unbeantwortet

Am Ende der Veranstaltung greifen einige Zuhörer offene Fragen noch einmal auf.

Berücksichtigt der NVP den unterschiedlichen Bedarf der Kommunen? Jain. Das Basisangebot des Stundentakts muss für alle Gemeinden gleich realisiert werden.

Wie funktionieren die Schülerverbindungen?
Da müsse es definitiv weiter Direktverbindungen nach FR-Stadt geben, zumindest in den Morgenspitzen, sagt Wisser. Aber erstmal müsse das Basisangebot und das Vernetzungsangebot beschlossen werden, und dann könne man das Schülernetz darüber planen.

Wie kann man eine unzureichende Anbindung mit nur 10 Bussen am Tag für Holzhausen verbessern? Wie soll die Anbindung an Früh- und Spätverbindungen der Nah- und Fernzüge funktionieren?
Wisser äußert sich jeweils zurückhaltend verständnisvoll, deutet an, dass in Details kleine Kompromisse möglich sind, obgleich größere Umstellungen wie etwa eine gemeinsame Linienführung mit dem VAG nicht möglich sind, und auch in Sachen Rheintalschiene der ZRF gegenüber der Deutschen Bahn und Entscheidungen auf Bundesebene machtlos ist. Wisser macht immerhin auch konkrete Vorschläge, welche Details auf Kreisebene eventuell Gehör finden könnten.

Kleines Trostpflaster: eine kritische Rückfrage dazu, wie bei häufigerem Umsteigen sichergestellt werde, dass Busse und Bahnen aufeinander warten, beantwortet Wisser mit der Zusage, dass der NVP endlich ein gemeinsames Kommunikationssystem für die Verkehrsbetriebe und Betreiber vorsehe. Es sollte an dieser Stelle niemanden mehr wundern: Auch das macht den NVP teurer, auch das muss aus den knappen Mitteln bezahlt werden.

Alles in allem bleibt Thomas Wisser bei seinem Fazit: “Mit mehr Geld wären mehr Leistungen finanzierbar”.

Das restliche Grauen: Breisgau-S-Bahn, Barrierefreiheit am HbF

Als Vertreter des ZRF ist Thomas Wisser sicher glücklich, für manche der kritischen Fragen der Bürger andere Schuldige nennen zu können.

Die Bahn bringe den Bestellfahrplan für die Breisgau-S-Bahn einfach nicht auf die Schiene. Den versprochenen 15-Min-Takt hält Wisser durch die 2013 gestrichenen Überholgleise für nicht machbar. Immerhin: solange die Breisgau-S-Bahn nicht “liefere”, werde der NVP das durch ein gewisses Busangebot ausgleichen, sichert Wisser zu.

Das der Hauptbahnhof in Sachen Barrierefreiheit ein absolutes “Ärgernis” ist, bestätigt Wisser ebenfalls. Aber nicht einmal das Land könne dem Bund und der Deutschen Bahn da in den Kram reden, und die bestünde auf 96cm Bahnsteighöhe. So ganz aufgegeben habe man da aber noch nicht für einen Umbau der Gleise der Breisgau-S-Bahn (Überraschung: auch hier ist wieder die Frage: wer zahlt’s?).

Von der überlasteten Rheintalschiene, den Aufzügen und den ganzen weiteren täglichen Ärgernissen im ÖPNV ist nur am Rande die Rede. Aber es geht ja auch um unseren Busverkehr.

Es ist zum Verzweifeln. Oder?

Was kann man als Marcher tun?

  • Sich beim ZRF und den politischen Gremien weiter Gehör verschaffen.
    Wisser versichert, dass unsere Rückmeldungen nicht einfach abgelegt werden, sondern bei der weiteren Planungsarbeit berücksichtigt werden. Angesichts des derzeitigen Entwurfsstand fällt es zwar schwer, das zu glauben, aber was bleibt uns anderes übrig?
  • Die GR-Sitzung am 29. März als Zuhörer zu besuchen.
    Bis zum 31.03. kann die Gemeinde March zum aktuellen Entwurfsstand Stellung beziehen; die Vorbereitungen laufen, auch der Austausch mit Abgeordneten läuft. Die Gemeinderatssitzung am 29. März wird die Stellungnahme verabschieden. Diese Sitzung als Zuhörer zu besuchen, sendet ein wichtiges Signal an die Gemeinde und die Abgeordneten des Gemeinderats, dass ihre Anstrengungen uns Bürgern wichtig sind.
  • Die Kreistagsabgeordneten ansprechen und bitten:
    große Ortsteile im NVP gleichzustellen mit den kleinsten Gemeinden des Landkreises – und also z.B. Holzhausen und Neuershausen ebenfalls einen Basistakt zu bieten.
  • Die Wahlkreiskandidaten für die Landtagswahl fragen:
    Wie möchte das Land es schaffen, bis 2035 den PKW-Verkehr zu halbieren? Machen Sie sich stark dafür, entsprechend dieser Forderung die Förderung des ÖPNV bis 2035 zu verdoppeln, von 200 Mio EUR auf 400 Mio EUR?

Persönlich habe ich durch die Veranstaltung den Eindruck gewonnen, dass die Gemeindeverwaltung den Busverkehr als sehr wichtiges Anliegen sieht, und die Interessen der Bürger entschieden vertritt. Darauf können wir aufbauen, und gemeinsam für einen guten ÖPNV in der March kämpfen. 2035 sollen in der March 50% weniger Autos fahren, als heute. Packen wir’s an.

3 Antworten auf „Bericht von der Infoveranstaltung zum NVP“

Eine sehr gute, übersichtliche Zusammenfassung. Danke.
Auch ich, als SPD Gemeinderätin, und unsere ganze Fraktion stehen unserer Kandidatin für die Landtagswahl – Gabi Rolland – auf den Füssen
sich für unser ÖPNV Problem einzusetzen.
Andere Länder geben pro Kopf wesentlich mehr Geld für Bus und Bahn aus. Für eine Verkehrswende sollte das bei uns auch kommen.

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